Abschiedsbrief
Ich gehe jetzt. In einer halben Stunde
bin ich schon tot.
VON BEILEIDSBESUCHEN BITTE ICH
ABZUSEHEN
Seht bitte ab. Seht bitte weg.
Benehmt euch wie gewohnt.
Mir ist das wurscht. Bis dahin bin ich
seit einer halben Stunde tot.
Ich gehe jetzt. In einer viertel Stunde
bin ich schon tot.
VON KRANZ- UND BLUMENSPENDEN BITTE ICH
ABSTAND ZU NEHMEN
Steht bitte ab und stellt euch weg.
Benehmt euch wie gewohnt.
Mich kratzt das nicht. Bis dahin bin ich
seit einer guten Stunde tot.
Ich gehe jetzt. In zehn Minuten
bin ich schon tot.
DIE BEISETZUNG FINDET IN ALLER
STILLE STATT
Sagt bitte nichts. Und notfalls hört nicht hin.
Benehmt euch wie gewohnt.
Nur ohne mich! Bis dahin bin ich
schon eine ganze Weile tot.
Ich gehe jetzt. In fünf Minuten
bin ich schon tot.
FÜR DIE TROSTREICHEN WORTE DES PFARRERS
WIRD GEDANKT
Seid nur getrost. Und spendet für die Kirche.
Benehmt euch wie gewohnt.
Mich könnt ihr gerne haben, denn bis dahin
Bin ich schon ziemlich lange tot.
Ich gehe jetzt. Genau genommen
bin ich schon tot.
DE MORTUIS NIL NISI BENE. RUHE
SANFT
Ruht bitte sanft! Wer tot ist, kann nicht stören.
Bequemt euch, wie gewohnt.
An mir soll es nicht liegen: ab jetzt bin ich:
lieb + gut
+
tot
Angelus
Im frühen Dunkel klingt das Lied
das Lied des Vogels Niemalsmehr
und jemand geht — ich weiß nicht, wann —
ist's Abend, ist es Morgen —
durch Eis und Schnee
ungeborgen
weiß nicht, wohin.
Kalt steigt das Licht. Kalt klingt das Lied
das Lied des Vogels Niemalsmehr
und jemand geht — ich weiß nicht, wer —
dem Liede nach —
verborgen singt
ich weiß nicht, wo
der gold’ne Vogel Niemalsmehr.
Und jemand fragt, ich weiß nicht, wen —
fragt nach dem Vogel Niemalsmehr
und fragt dreimal
und dreimal klagt
das Lied des Vogels Niemalsmehr.
Und da spricht Schnee: Lies deine Spur!
und Baum gibt ihm ein Blatt
und Wind die Feder in die Hand —
es leuchtet ihm,
weiß nicht, warum,
die Nacht.
Und leise klingt von Stern zu Stern
das Lied des Vogels Niemalsmehr,
und jemand liest, ich weiß nicht, was,
im Schnee und schreibt es auf sein Blatt
und liest und schreibt
und friert und bleibt
und rührt sich
niemalsmehr.
Am Horizont ein Mond, ein Stern —
ist's Abend? ist es Morgen?
Da hat im Schnee, ich weiß nicht, wer,
das Lied, das Lied
geborgen.
Heller Tag
Kein Kaffee, kein Wein,
keine Zigaretten kein
Fernsehen: nur
ich, denke ich,
zähle meine Finger. Links von mir
duckt sich das Telefon
zum Sprung
auch der Fensterrahmen ist nicht narrensicher ein
kleiner, grauer, viereckiger Wecker
kriecht ins Zentrum des Tisches will
angebetet werden
ununterbrochen –
das Wimmern der Heizung
bedeutet mir nichts, fleischlose
atmende Rippen,
denke ich. Obwohl
andererseits
Blut fließen könnte in ihnen die
Rohre, immer zwei
übereinander
Adern sein könnten, Venen,
Arterien, wändeentlang unter
Tapetenhaut obwohl
die Fenster Augen sein könnten der Wecker
ein vielrädriges
schmales Herz während
das Telefon
Nervenleitungen aussendet, lauscht
lauert kein
Bildschirm mich beschirmt kein
Kaffee, kein Wein, keine
Zigaretten. Das Haus
blinzelt ganz kurz
mit den Fensterrahmen
das Licht aus
beschließt
mich
zu eli-
minieren.
DUIT DAG
Geen koffie, geen wijn,
geen sigaretten geen
televisie kijken: alleen
ik, denk ik,
telt mijn vinger. Links van mij
kruipt de telefoon in zijn schulp
voor een barst
ook de vensterramen zijn niet absoluut betrouwbaar een
kleine, grauwe, vierhoekige wekker
kruipt in het centrum van de tafel wil
aangeraakt worden
onondoorbroken -
het kermen van de verwarming
zegt mij niets, vleesloze
ademende ribben,
denk ik. Hoewel
aan de andere kant
bloed stromen kon binnen in die
buis, altijd twee
tegenover elkaar
aders zijn kunde, venen,
slagaders, murenlang onder
tapijtenhuid ofwel
de vensters ogen zijn kunde van de wekker
een veelraderig
verminderend hart gedurende
de telefoon
zenuwleidingen buitendat, luistert
loert geen
beeldscherm mij beschermt geen
koffie, geen wijn, geen
sigaretten. Het huis
knipoogt heel kort
met de vensterramen
het licht uit
besluit
mij
te eli-
mineren.
(Übersetzung von Nok Snell)
Diagnose lyrischer Tatbestände
Wir zwickeln die Welt
In Metaphormpapier
sind nicht in der Lage
eine Penisprothese zu züngeln
(zu wissenschaftlich) oder
Scheidenplastiken zu kneten
(keine Fachsprachen, bitte)
bemützen bemänteln
nehmen Kollagenalschäden unerwähnt
aus dem Verkauf: in Genmanipulationen
wird nicht gepuhlt, Herzen werden nicht transplantiert
Dialysepatientenpisse nicht aufs Blatt uriniert
und für Verstopfung an feinen Abführmitteln
wird unser Papier nicht perforiert.
An Gesichts einer Wahrheit
liften wir die Wirklichkeitspelle
versuchen Fellatio und Cunilingulus
nicht in Seniorenanstiften finden
Fruchtwasserinterpunktionen unintim obwohl
an unpaarigen Brustwarzenerektionen und trisomischen
dreiundzwanzig Samenergüssen
unsere Wörter
auch nicht verdienen.
Die Mitwelt ist mit punktgenauen Atomwaffen
taktischen Konzentrationslagern
und Aids in Afrika
jedenfalls nicht zu überleben,
wer machte denn der Nachwelt Spaß?
Nein, Eleven.
(Und haben wir uns nicht genug
müde gegeben mit dem 11. September?
Fiel er uns nicht ein
wie gepipeliniert
der Turmbau zu Babel?)
Diagnose
Ist auch so ein Wort. Wir
verleiden uns an akutem wie chronischem
Wirkschaftlichkeitsverlust.
Aber wir sind ja auch kein Verlust
Für die Wirkschaftlichkeit.
(Goethe)
Zauberwort
Abgespeist
mit der schalen Kost der Nachrede
soll ich Sinnlosem Sinn machen
Verstand den Verständnislosen
den Glauben sichten im Aberglauben
aufräumen
und alle Tassen in die Schränke zurückstellen?
Ausfällen aus der trüben Brühe der Vielfältigkeit die
Vielfalt
und aus dem hartleibigen Sedimentgestein Einfältigkeit
den Rohdiamanten schlagen, ihn zurückschleifen
auf den antwortenden Stein Einfalt?
Wie Lancelot im Gedächtnis der Sprache umherirren
lebenslänglich das Gralswort suchen, daran nicht verzweifeln
dass es gefunden werden kann oder erfunden
und dabei meine Seinszeit um mein Dasein betrügen?
Mein Ziel nicht aus den Augen verlieren hinter deren
geschlossenen
Lidern
sich Träume abspulen
den funkelnden Gral emporhalten
(what you see is what you get )
mir die Oblate im Munde zergehen lassen
( read only memory )
um dann abberufen zu werden ins
( internet )?
Alle Seelen
Sie könnten, Nebel, aus der Erde kriechen,
die braunen Knöchel der Gräser umwinden,
sie mit dem Wurzelduft aus Untererde binden
damit ihr Hauch sie in Kartoffelfeuer zöge
während sie als Geruch des Rauches entkämen.
Sie könnten, seichter Regen, aufwärts fallen,
an klamme Häuserwände könnten sie sich schmiegen
und jedem Zimmer die Fenster betrüben:
Mondraub in dunkle Laternschädel sacken;
die wären von lichtem Atem umgeben.
Sie könnten, Straße, im Irren verflattern
wie druckfeuchte Blätter am Postradskelett;
unter dem Baum hocken, wo sie Apfelhaut schleckten,
Hag und Butten mit dünnen Zungen beschmeckten
und die frostigen Säume der Lichtgrenzen nähten.
Pan
Wenn der Kuckuck ruft, voll Angst,
zum siebten Mal:
gehe hinaus aus dem Wald,
weiter und immer weiter –
gehe:
in den lautlosen Abend der verlorenen Zeit.
Der Weg brennt
im flimmernden Licht
der sinkenden Sonne.
Gehe:
aber der Weg ist
ohne Ende.
Gehe:
aber den Horizont wird die Sonne
niemals erreichen.
Doch gehe: denn vielleicht
kannst du dem Weg ohne Raum
eine kleine Flamme der Ewigkeit
stehlen
und der Sonne ohne Zeit
ein flackerndes Irrlicht
des Unendlichen.
Gehe.
Kehrst du zurück in den Wald, voll Angst,
wird der Kuckuck
siebenmal
schweigen.
Kammermusik
Blätterflageolett
Wolken con sentimento
Regenarpeggio
schnell
langsam
schnell
entfällt die Erde
dem Gedächtnis des Sommers –
im Salonwagen des Nebelzugs
sitzen wir, lauschend,
denken wir hätten
bezahlt