Im Anfang
Und wenn ich nur ein Zeichen lesen könnte —
Mag sein: das Buch mit leeren Seiten,
die Spur im Sandstein von Jabneh
oder das Licht des Adlers:
ich bräuchte euch nicht,
ihr Worte.
Und wenn es Augen gäbe, mich zu sehen
und Ohren, einen stummen Schrei zu hören
und Gedanken, mich zu halten
könnte ich
schweigen.
So aber: bleibt bei mir, ihr Worte.
Nichts lässt sich sagen mit euch
und nichts verstehen doch
ihr allein begründet
die Notwendigkeit
des Todes.
Einkaufsstraße im Herbst
Regenzunge leckt
Blätter sprühfixiert
pigmentreduzierte
Zweidimensionalität
Die dritte Dimension
glänzend zu Fall gebracht
Steinschlüsse horizontal
vertikal
geistern Reflexionen
Ichfliege Dufliege
Seelenscheibchen
Dünnschnitte
in Bernsteinschliff
die Luftdrähte dichter gespannt
vor dem Schauglas darin
braune Kautschukstiefel
Fußhäuser
ein Kürbiskopf honigrund
knabbert Licht mit dem Mund
und
auf dem Augenschein gesehen nämlich
dreieckig gesehen trage
Ich-hinter-den-Drähten
plötzlich
rote Handschuhe
Verfall
Mir fault ein Gedichtgeruch
aus dem Maul. Unter jedem
Zahnstein
gärt
ein Eiterbeutel
Bedeutung.
Den Wörtern Kronen auf-
zusetzen stellt sich als Fehler heraus: abgeschliffen
und verkappt
verzetteln sie mich umso schneller – nur
ein vergoldeter
Schmerzrest
fibert durch das Satzgerüst findet
keinen Halt.
Die Wortwurzeln weigern sich zu tragen
unbelegt
weicht das Sprachfleisch zurück wenn
(bakteriellem Rasen entgraben)
ein Wortgesicht
erscheint.
Entzündet bis auf den Knochen
fallen den alten Zeilen
die Buchstaben aus –
sechsundzwanzig; mehr
waren es
nie
Prinzessin Vogelherz
Ich lebe auf schwankendem Laub
die Füße im Feuer
hinterrücks
erstarrt ein Vogel
tonlos zu Stein
Die Liegenschaften des Schattens
werden von der Sonne gefressen bald
kriecht die Hitze
unter die Bäume steigt
an den Stämmen fühlt
meine Beine hinauf – wie
werde ich sprechen können
mit Feuerzungen sehen
mit Feueraugen
da ich mir doch
diesen kleinen, steinernen
kalten Vogel
ins Herznest
nahm?
Immer verliert er
seinen Kampf gegen die Glut
der Sonne aber immer
verliert die Sonne
ihre Glut
an die Nacht.
Contradictio
Ich hasse den bleichen, vertrocknenden
fahlstrohblütenfarbenen Sommer
dessen Letzte Rose
erinnerungsverpflichtend
in Schulbüchern
verstaubt
schwarzweißgemalt und
hoffnungslos.
Der Tod ist ein schlechter Schriftsteller.
Nur das Beschriebene ist wirklich
und ein für allemal
tot. Hineingestorben
in das Massengrab
Sprache
Verwesen Holokaust und sämtliche
Liebesobjekte der Dichter
- jedermann ein Aspekt –
fein säuberlich aufgehängt
Stück für Stück am
Blauen Band des Frühlings und werden
pars pro toto
seziert, reduziert und abgenagt zu
Wortskeletten
Konstruktionen
langweilig bis zum
Auswendiglernen.
An nichts mehr erinnernd
klappern sie nicht
stinken nicht
stören niemanden
so recht;
bleiben der Nachwelt also
erhalten
denn noch mehr sterben
können sie nun wirklich nicht.
Die Schreiber reden zu viel. Aussichtslos
Ihnen das Maul stopfen zu wollen denn
Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
stirbt äußerst lebendig vor sich hin, irgendwie
eindrucksvoll
unerträglich
für des Dichters geschwätzige
Todesangst.
Unsterblich und ewig, so heißt es, seien
die Künstler sowie
ihre Werke. Leider könnte
unsterblich das Gegenteil sein von
lebendig
und die Ewigkeit ist sowieso
ein ziemlich toter
Begriff – vielleicht
Mit einer Kleinen Lila Aster
im Herzen
traum im mohnfeld
windlieder
flattern nachtblau und warm und
wiegen
schlafend ein meer
tauroter blüten – ungezählt
sternengleich
wolkenleicht:
glühen im licht
sommermondfarben
und schimmern in vorbeihuschenden
schattentälern
wie die sinkende wintersonne schimmert
in den eisüberhauchten kelchen
der herbstzeitlosen –
mondlicht
flutet nachtrot und warm durch dein haar und
will dich wiegen –
in den schlaf wiegen in einem meer
tanzender blüten: ungezählt über dir
sternengleich
wolkenleicht:
wanken im winde
auf flimmernden stielen
tausende zartflirrender lichtflecken glimmen
sommermondfarben
und wirbeln vorüber und neigen sich
zu dir
und sinken trunken, schwer und süß und rot –
und taumelnd fliegt ein schmetterling durch deinen traum
mit langem rüssel trinkt er roten wein
aus den kelchen
der herbstzeitlosen
Warnung
Ich war tödlich.
Hilf mir, sagte ich
ich bin klein dein Herz ist mein
ich krümme mich wie ein Wurm
ich passe in jeden Schoss
gern auch unter jeden Schuh
siehst du
Rette mich, sagte ich
denn ich verpuppe mich und sauge
an Mutterbrüsten und Penissen
ohne Ansehen der Person
kann ich jeden lieben
auch dich
Beachte mich
sagte ich und aus den Augen
lasse mich nicht ich bin blind
lahm und taub trage
mich ernähre mich ich bin ein
Tabernakelschrein
Verehre mich
sprach ich und versprach
dass unter meiner Haut mir Flügel wüchsen
dass mein Hochzeitskleid aus
weißer, reiner, selbstgespannter Seide
Unschuld bedeute
Bete mich an
die ich versponnen dir am Halse hänge
mein Leben ewig am seidenen Faden
den ich aus Angst und Liebe fester schlinge –
wärst du ein Mörder nicht, wenn du mich
nicht ertrügst
Du ertrugst mich nicht.
Wie gesagt: Ich war tödlich. Zum Glück
habe ich mich unschädlich
gemacht. Meinem Kokon bleibe ich fern
wie jeder. Fände ich mich ich würde
auferstehen.
Ich wäre tödlich.
Idol, antik, weiblich
Ich Körper
unerwerblich,
Privatbesitz
trotzdem unter dem Hammer
eines Auktionators
der sich mir
noch nicht vorgestellt hat.
Niemand bietet mehr.
Unaufhaltsam steigen
die Restaurationskosten. Höre ich
fünfzig, sechzig, siebzig?
Sagte ich, ich sei
unverkäuflich? Not kennt kein Gebot
schreie ich jetzt, will
dem Auktionator in den Arm fallen
alle Kosten selber tragen
unabgeblättert
ungerissen
unvergilbt
und von den Sohlen splitterfrei bis in die Augen
war ich nie so veräußerlich wie jetzt
so gebotsam
so schlagunfertig
so hörig dem Ruf –
Mörder