Sch’ma Schaddaj
Unter der Haut der Toten Schädel
Gehäus der Dämmerung, der Nacht
Wort für Wort
lastet schwerer der Lärm
auf feinen Rissen zarter Knochenschalen:
Verwesung umschließend
werden sie zerbrechen
im Plappern der Welt
bald.
Mein morsches Totenhaus
stinkt. Meine Worte
sind ausgezogen. Nichtsgerede
zerspringt wie Glas mir
widrig im Mund. Blut spucke ich
auf den Schatten des Todes
auf den blinden Spiegel
meiner Gedanken.
Jemand
hat ihn zerbrochen. Wer? Und wessen Hände
tasten nach den Scherben?
Durch mein Gehäus ziehn endlos Bilder ohne Worte
und manchmal schrei’ ich Worte ohne Sinn.
Kein Wort hat mehr ein Spiegelbild
und keinem Bild wüsst’ ich ein Wort.
Selbst die Spiegelscherben
sind mir entfallen:
Verlor’nes Muster
welches niemand
deuten
wird.
RONDO
Die alten Geigen fiedeln neue Zeit
Und spielen auf zu ewiger Gegenwart:
Die Zukunftslieder sind Vergangenheit.
Kein Weg zurück. Und niemand schreit.
Die Kinder schlafen nicht.
Die Greise tanzen
Und rund und rund. In seinen Läufen
Unaufgehalten trieb ein Feuerrad
Viel Menschen in den Tod und Rauch stieg auf
Zum schwarzen Himmel. Da begann zu kreisen
Der Alten neues Ringelspiel.
Wohin denn ihr? Längst hat die Sonne
Euer Fleisch verbrannt und die Erde zu Staub.
Dort wächst kein Gras mehr, wo der Regen fällt.
Auf tote Seen sinken schwere Nebel.
Von nassen Buchen taumelt
Graues Laub
Und rund und rund in seinen Läufen.
Schon fast vergessen trieb ein Feuerrad
Viel Menschen in den Tod und Rauch stieg auf
Zum Himmel unter dem sich knisternd dreht
Der Asche dunkles Ringelspiel
Als irrte Tod im Kreis. Im Kreis
Von Tag und Nacht und leeren Asphaltgassen.
Kadaver spült der Fluss ins Meer.
Kadaver trägt das Meer an Land.
Die Sieben Raben hacken müde in den Wunden
Der Leichen im schwarzen Sand:
Und rund und rund in seinen Läufen
Unaufgehalten treibt das Feuerrad
Mehr Opfer zu dem Tod und Rauch steigt auf
Zum Gott für den sich diesmal dreht
Der neuen Sieger Ringelspiel. Indessen können
Die Feueröfen alter Zeit
Besichtigt werden jederzeit
Solange noch Zeit ist.
DA CAPO AL FINE
Frau Frankenstein
Die Wände meiner Räume hinauf reihen
schmal, gedrängt und verstaubt sich
Grabsteine
trügerisch viel-
farbig wie ihre Inschriften
die zu lesen man den Kopf neigen muss
nach rechts oder links
demütig oder skeptisch ein
ehrfurchtsvolles Nicken
hilft dir nichts.
Derrida, Eco und Handke stellen sich mir
leichenteilweise
zur Verfügung.
Es ist Eile geboten
kein Kühlraum hält sie frisch
Kafka zum Beispiel
ist schon geronnen
zum säuerlichen
Cliché.
Ich
öffne die Gräber
fleddere die Seiten
mache Versehrungen rückgängig
scheinbar
versätze Glieder
verkopfe Enthauptete
nähe zusammen was
so hoffe ich
nie zusammen gehörte und warte
im Übrigen
auf das belebende
Gewitter
(Kafka)
Sphinx
Ein Schatten auf einem Stein
will ich sein
rollst du hinab
ins Dunkle
falle ich
und wandere ich weiter
im Schmelzofen der Sonne
zerbirst du
Eine Welle über dem Sand
will ich sein
sinkst du
am Felsen
zerspringe ich
und flute ich zurück
mit den Winden
verwehst du
Ein Mondlichtstrahl auf einem Teich
will ich sein
vertrocknest du
bis auf den Grund
blicke ich
verblasse ich
in der Dämmerung
erblindest du
Eine Quelle in einem Baum
will ich sein
schlägt dich die Axt
hinab ins Gras
rinne ich
versiege ich fließe
in die Tiefe
verdorrst du
Ein Sturm in einem Kornfeld
will ich sein
zerknickst du Halm um Halm
über verwüstetem Land
klage ich
harre ich
ohne Atem
stirbst du
Eine Sphinx will ich sein mein Rätsel
das Schweigen
erkennst du mich
wirst du des Rätsels Losspruch finden
wie den Tod
seh ich dich an
voll Abscheu und Verlangen
wirst fliehen du und ewig wiederkehren
Nebelkrähe
Vor mir brach eine Wolke aus dem Frostfeld
und hinter mir verlor ein Blatt den Baum.
Ich ruckte mit dem Kopf, wie Vögel tun,
die Füße krallten sich in meinen Schuhn:
In diesen Schuhen war ich nicht gewohnt, zu fliehen.
In Nebeldickung hockt ich, zog den vagen
zerfransten Schatten um mich wie ein Flügelpaar
fühlt Schlüsselbeine sich zum Pflugscharbein verbinden
die Augen, schielend, langsam seitwärts drehn:
Da schwankt ich, hüpfte, spreizte Federfinger.
Und war sehr knochenleicht und halsgewandt
und schüttelt Sprüh von Himmels grauem Flaum
und blinzelte mit einem schiefen Sonnenauge.
Hob dann die Schwingen, horizontgebogen:
Und war als Nebel mit den Krähen fortgeflogen.
FastNachtsMonolog, aschermittwochs
Du
willst das Leben sein?
Ich lach mich tot. Lass dich versaufen:
In mein Stundenglas laufen
um fünfvorzwölf. SterbOderSauf: das
passt zu dir. Ein volles Leben. Oder
oder lebensvoll: oder geistvollgottvoll oder:
voll. Von mir aus: voll. Hier
zieht es und mein Lebensirrlicht flackert. Schließ die Tür.
Ich? Angst? Vorwem? Vordir?
Dem toten Leben? Oder umgekehrt? So oder so
bist du doch nur eine bleiche
Schnapsleiche:
Die Sanduhrglocken haben zwölf geläutert
und Masken fallen über kurzgelogne Beine –
P.S.:
Dem Leben
hab ich den Totenschädel
eingeschlagen und
es musste
zugeben
dass eine Pappnase
immer noch barmherziger ist
als
gar keine.
(jetzt weint es aus leeren augenhöhlen : um
tote seelen)
Eibenlied
Reiter auf bleichem Pferd reite den Weg voran
Sei mir der Tag nichts wert den ich nicht sehen kann
Sei mir die Nacht verhasst Reiter im fahlen Schein
Seit mir der Mond verblasst meid ich das falbe Licht
Zieh ich ins Tal hinein fängt mich die Spinne nicht ——
Ritt ich auf fahlem Pferd! Dürft ich dein Schatten sein!
Tief im vergangnen Wald leuchtet der Abendstein
Wind im gefangnen Baum hütet den Totenhain
Wie mir das Herz gefriert wie mir das Blut verrann
Glimmt mir ein alter Pfad reut mich kein Zauberbann
Nimmt mir ein kalter Bach flüsternd die Seele fort
Fühl ich im Eishauch noch heimlichen Zauberhort
Hör wie der Eibenstrauch Sommerwort leise spricht:
Rankt sich Vergangnes nicht um bleiches Baumgebein?
Trankst du nicht Geißblattduft? Trankst nicht Holunderwein?
Reiter auf fahlem Pferd den ich nicht sehen kann
Tief im verhangnen Wald irr ich den Weg voran
Seit mir der Mond verblasst dämmert mein Augenlicht
Glimmt mir ein Purpurpfad nimmt mir die Seele fort
Reiter auf fahlem Pferd! Hörst du das Zauberwort?
Fliehst du den Eishauch, des Abendwalds Angesicht?
Ist dir der Tag nichts wert, Schatten, der bald verblasst?
Reiter auf bleichem Pferd: Ist dir die Nacht verhasst?
Siehst du das Spinnennetz leuchten im Abendstein?
Schwinde im bleichen Licht, Reiter, im fahlen Schein!
Rankt dir im Eibenstrauch flüsternd das Leben fort?
Könnt ich sein Schatten sein! Wüsst ich das Zauberwort!
Wär ich ein Baumgebein, geißblattumfasst,
Wäre ich Wurzel und Beere und Ast!
Reiter auf fahlem Pferd war ich im Traum —
Wort haucht im Winde und hütet den Baum
Giftige Beere im dunklen Geäst
Und einen Schatten den niemand verlässt.
Anrufung
Wer den Weg nicht kennt
hat schon verloren. Niemand
beachtet die Bahnen
langsam fallender Sterne.
Blatt um Blatt
fällt die Welt vom Baum:
MISERERE NOBIS.
Wer das Lied der Wüste nicht lernt
rechtzeitig, wen nicht kümmert
die Entfernung der Erde von der Sonne endet
mit aller Kreatur
in den blicklosen Dünen
des singenden Sandes:
MISERERE NOBIS.
Wer die Zeit nicht anhält in der Mittagsstunde
dessen Stunde hat schon geschlagen.
Wer die Zeit nicht vergehen lässt
vergeht mit der Zeit.
Der Wind weht stündlich heißer
in der Nacht:
MISERERE NOBIS.
Wer sich von Mondlicht keine Brücke baut —
den die Flut nicht ertränkt
verdorrt mit der Ebbe. Salz
dampft vom Boden, füllt
die Lungen der Städte flammt
die Halme im Sturm:
MISERERE NOBIS.
Wer die Sterne nicht im Auge behält
und nicht die Steine ist
verantwortlich zu machen
noch im Sturze
für den Abfall der Erde
von der Sonne:
MISERERE NOBIS!